Die Fotografien der Schweizer Künstlerin Annelies Strba ziehen
uns durch ihre Selbstverständlichkeit in ihren Bann. Zu sehen
sind ihre Töchter, ihr Sohn, irgendwann der Enkelsohn Samuel-Maria,
das Haus und immer wieder die Katzen. Im chaotischen Kinderzimmer
zwischen Kleidungsstücken und Matrazenlager wird gespielt,
gelebt, geschlafen. Der taxierende Blick in den Spiegel beim Bürsten
der langen Haare, der Pater und die Großmutter zu Besuch in
der spartanisch möblierten Küche, Sonja mit verschränkten
Armen in den ersten eigenen vier Wänden. Linda auf der Wiese
inmitten des verblühten Löwenzahn. Momente, die Jahre
dauern, ein Augenzwinkern lang oder in der Stille zwischen zwei
unausgesprochenen Gedanken liegen. Es sind nicht Dokumentaraufnahmen
von Zeiten oder Orten, sondern es ist das Leben selbst, das nicht
erst durch Ausschweifung und Exotik interessant wird, sondern vom
Eintauchen in die Menschen bestimmt ist. Nicht das, was wir sehen,
sondern was wir ahnen bestimmt unsere Aufmerksamkeit. Es existiert
keine Scheu im Vertrauten und das zieht auch uns Fremde an. Es ist
der gleichzeitige Blick der Mutter und Künstlerin, der Vertrautheit
und Flüchtigkeit des Augenblicks, des Zufälligen zeigt.
Es wird nicht konserviert für später, sondern fließt
mit der Zeit, mit dem Heranwachsen und Werden. Bei den Stadtaufnahmen
wird ähnlich verfahren. Das Vorbeiziehen der polnischen Wohnblocks
im Grau des November-Nebels erzählt von Vereinzelung wie das
Mädchen, das in sich gesunken auf der Blumenwiese sitzt. Nicht
die Schärfe des "so ist es gewesen" scheinen das
Wesentliche, sondern die Temperatur, die Gerüche, die Stimmung
wird in den Vordergrund gekehrt. Impressionistisch mutet Annelies
Strbas Fotografie manchmal an. Abwesend, verträumt, in die
Ferne schweifend die Gesichter. Spitzwinkelige Häuserfronten
im Getummel der japanischen Großstadt verschwimmen, stehen
auf wackeligem Boden und werden so herrlich unstatisch im Getöse
der Stadt. Wir tauchen ein, sind mitten drin. Zuerst in die Köpfe
der schönen Töchter, dann ins Dickicht der Städte.
Der schweifende Blick auf Annelies Strbas Leben mit all seiner Schlichtheit
und seiner Schönheit läßt sich in den Fotografien
erfahren. Dem eigenen Sein ist Platz gemacht, alle Richtungen bleiben
offen und der Außenstehende darf selbst seine Perspektive
wählen. Die Kunst liegt im Offenbaren und Offenlassen. Das
Subjektive, das so zeitlos und selbst auflösend agiert. Schwebend,
berührend, diffus, sich im Detail verlierend und dadurch das
Wesentliche zeigend. Vergangenheit und Gegenwart sind nicht die
Gratmesser, die Geschichte verharrt im Moment und der kann dauern,
solange er will.
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